Ein Quartett für ein Orchester
von Ulrich Schmidt
Ein Herren-Quartett war der Vater der Nordwestdeutschen Philharmonie. Dies waren: Regierungspräsident Heinrich Drake (1881 – 1970), 1. Stadtdirektor Fischer (1899 – 1963), Oberstadtdirektor Fritz Meister (1896 – 1976) und GMD Rolf Agop (1908 – 1998).
Heinrich Drake wurde am 17. April 1945 von der britischen Militärregierung als Landespräsident von Lippe eingesetzt. Der Sozialdemokrat Drake war den Briten absolut unverdächtig, da er 1933 von den Nazis als regierender Landespräsident von Lippe abgesetzt und die nächsten 12 Jahre in kein anderes Amt eingesetzt worden war. Überdies hatten ihm sogar Nazis über seine Regierungszeit in der Weimarer Republik nur gute Zeugnisse ausstellen können. Nachdem die öffentliche Ordnung halbwegs wiederhergestellt war – Regelung von z.B. Verkehr, Polizei, Dienstabläufe im Amt, Schulbesuch – ging es natürlich auch um Kultur. Als gelerntem Buchhändler war Drake Kultur kein Fremdwort.
Fritz Meister machte eine kaufmännische Lehre in einem Textilwerk seines Heimatortes Elberfeld. Nach Kriegsdienst 1916 – 1919 arbeitete er in der Kommunalverwaltung. Zuletzt war der Sozialdemokrat Meister Bürgermeister in Zahna im Bergischen Land. 1933 setzten ihn die Nazis ab. Er wird Geschäftsstellenleiter einer Auskunftei in verschiedenen Standorten. 1945 wird er auf britische Anordnung hin Bürgermeister von Waldbröl. Ab 1.1 1947 ist er Oberstadtdirektor in Herford. Da trafen zwei Fachleute für Verwaltung aufeinander, die in Sachen NWD gut harmonierten.
Rolf Agop studierte in München an der dortigen Universität und kam schnell im Theater- und Konzertbetrieb unter. Nach wechselnden Engagements an Theatern vor allem im Osten des III. Reiches wurde er 1943 zum Kriegsdienst eingezogen. Unmittelbar nach Kriegsende „landete“ er am Nürnberger Opernhaus und dirigierte Opern und Konzerte. Da er aber sein eigener Herr sein wollte, zog es ihn 1948 nach Bad Pyrmont. Ein eigenes Orchester, ein Spielplan nach eigenen Vorstellungen – das wollte er. Und das bekam er. Doch was hier so großartig klingt, war mit viel Entbehrungen verbunden. Der Orchesteralltag, wie übrigens der Alltag aller anderen Mitmenschen auch, war geprägt durch Hunger, Wohnungsnot und Mangel jeglicher Art. In seinen Memoiren schreibt Agop von einem Hotelier, der es für entwürdigend hielt, wenn ein Künstler, auch wenn er viele Kinder habe, zu ihm in die Hotelküche käme, „um Kartoffelschalen und Knochen zu sammeln, weil sonst seine Familie verhungere.“ Agop war unermüdlich unterwegs zwischen Bad Pyrmont, Detmold, Paderborn, Hannover und Düsseldorf, um „seinem“ Orchester eine Zukunft zu ermöglichen. Die Fahrten nach Hannover erübrigten sich in dem Moment, als Schaumburg-Lippe und damit auch Bad Pyrmont politisch dem Land Niedersachsen zugeschlagen wurden. Doch dieser Rückschlag entmutigte ihn nicht. Er hatte inzwischen den 1. Stadtdirektor Dr. Norbert Fischer aus Paderborn auf seiner Seite. Denn der hatte ihm die Leitung des Paderborner Musikvereins angetragen.
Geboren in Breslau, hat Fischer nach Abitur und Studium der Juristerei nach kurzer Arbeit im Reichswirtschaftsministerium als Sozius in der Kanzlei des späteren Bundesrichters Hans Drost gearbeitet bis zum Zusammenbruch. Er floh mit Frau und drei Kindern nach Paderborn, weil seine Mutter aus dieser Stadt stammte. Die Briten setzten ihn am 11.5.1945 als Bürgermeister ein. Für die Briten war er trotz seiner Arbeit als Rechtsanwalt während der Nazi-Zeit akzeptabel. Fischer war also unbelastet. Er wechselte jedoch am 14.1.1946 auf die Position des 1. Stadtdirektors. Ausschlaggebend dafür dürfte gewesen sein, dass die Position des Stadtdirektors erheblich mehr Gestaltungsmöglichkeiten bot. So war Fischer unter anderem Obmann der Arbeitsgemeinschaft des Deutschen Städtebundes für den Regierungsbezirk Detmold. Diese Vernetzung ist hilfreich für eine reibungslose Kommunikation, zudem erzeugt eine solche Gruppensituation Einigungsdruck. Der jedoch nicht immer funktioniert, wie sich zeigt, als Detmold eigensinnig auf einen Sonderstatus drängt. Im Verbund mit Regierungspräsident Drake, dem Künstler Rolf Agop und als weiterem kommunalen Beamten, Oberstadtdirektor Meister, jedoch gelang diesen vier Herren die Rettung der Nordwestdeutschen Philharmonie.